Vegan ist bunt. Vegan ist vielfältig. Vegan ist spannend, von A bis Z. Heute geht es weiter mit der Serie „The Vegan ABC“. In Zukunft werdet ihr alle 14 Tage – jeden zweiten Dienstag – über ein Thema aus der veganen Welt lesen, ob über „B-Vitamine“ bei B, „Genuss“ bei G oder „Zukunft“ bei Z. Viel Spaß!

 

Das Telefon klingelt. Noch ein wenig verschlafen tapse ich aus dem abgedunkelten Schlafzimmer. Fast zwei Wochen habe ich mich fast ununterbrochen in diesem Raum aufgehalten – von gelegentlichen Besuchen auf der Couch im Wohnzimmer abgesehen. „Mit schwerer Mandelentzündung ist nicht zu spaßen“, hatte die Ärztin mir eingebläut, „bleiben Sie im Bett, trinken Sie viel, und halten Sie sich von allem fern, was Ihnen im entferntesten Stress verursachen könnte. Und möglichst nicht so viel sprechen“. Also: keine Arbeit, kein Fernsehen, keine Telefonate. Heute ist der erste Tag, an dem ich mir tatsächlich vorstellen kann, wieder mit anderen Menschen zu kommunizieren – ich fühle mich leicht und fast ein wenig euphorisch. Obwohl es mich immer noch ein wenig ärgert, dass ich es letztendlich doch nicht abwenden konnte krank zu werden – ich jedenfalls bin kein gutes Beispiel dafür, dass Veganer seltener unter Erkältungen leiden…

Ich nehme den Hörer ab. Meine beste Freundin ist dran. „Kommst du mit zum City-Grill?“ fragt sie mich, nachdem wir uns ein wenig über meinen sich bessernden Gesundheitszustand ausgetauscht haben. „Du brauchst sicher ’ne Prise frische Luft und was Ordentliches zu Essen. Da gibt’s doch die weltbesten Pommes, und ich hol mir wieder diese leckere Bio-Bratwurst. Weißt du was? Seit neuestem gibt’s da nur noch Bio!“ Ich verkneife mir einen Seufzer. Ich könnte ihr jetzt zum wiederholten Mal erklären, was ich von dieser ganzen Bio-Tier-Paradies-Diskussion halte, aber was würde das nützen? Sie kennt ja meine Meinung, und ich kenne ihre – auf einen gemeinsamen Nenner sind wir bisher nicht gekommen. „Alles klar“, sage ich, „dort in 30 Minuten“.

Vor dem Lokal ist wie immer eine ziemlich lange Schlange. „Ich bin immer wieder entsetzt wie lange die Leute für eine blöde Bratwurst anstehen“, sage ich ein wenig provozierend zu meiner Freundin. Sie grinst mich nur wissend an – für mein Gefühl etwas zu wissend. „Genauso lange wie du für die weltbesten Pommes anstehst“, sagt sie und lächelt immer noch geheimnisvoll. Endlich sind wir dran. „Eine große Portion Pommes bitte“, sage ich. „Mit Ketchup? Oder mit unserer neuen hausgemachten Mayonnaise – garantiert ohne Ei!“ fragt mich der junge Mann hinter der Theke. Ich blinzle. Hat er das gerade wirklich gefragt? Meint er das ernst oder will er mich nur auf den Arm nehmen – vielleicht hat er ja meinen „Go vegan!“-Button an meiner Tasche gesehen. „Ich hätte gerne die tolle Bio-Bratwurst vom letzten Mal!“ gibt meine Freundin ihre Bestellung am Counter neben mir auf. Pff. Als könnte sich der Mitarbeiter daran erinnern, was sie das letzte Mal bestellt hat. „Soll’s der Tofu-Brater sein oder lieber unsere Seitan-Wurst?“ fragt ihr Gegenüber freundlich. „Ne Kombi aus beidem hätten wir auch da – wär ja mein Tipp.“ „Na dann nehm ich das doch!“ sagt meine Freundin fröhlich, „und bitte noch eine Pommes mit der hausgemachten Majo dazu!“

Meine Bedienung hat mir inzwischen die Pommes in die Hand gedrückt – mit Majo, obwohl ich das weder bejaht noch verneint hatte. Egal – ist ja ohne Ei. Tatsächlich? Wie in Trance lehne ich mich an einen Stehtisch. Das müssen die Nachwirkungen der Krankheit sein. Meine Freundin kommt dazu und beißt beherzt in ihre Tofu-Seitan-Wurst. „Na, was sagste jetzt?“ fragt sie und knufft mich in die Seite. „In 14 Tagen kann ganz schön viel passieren!“ Ich blicke mich um. Der Laden ist voll wie eh und je, und ich sehe viele bekannte Gesichter, die sich anscheinend nicht daran zu stören scheinen, dass sie jetzt statt der üblichen toten Tiere im eigenen Darm eine Tofu-Wurst in der Papp-Schale haben. Ich blicke meine Freundin fragend an. „Naja, wegen der Entwicklungen in den letzten Monaten musste sich der Besitzer eben was Neues überlegen. ‚Richtige‘ Bratwurst wollte halt keiner mehr haben. Naja, fast keiner.“ Mit den „Entwicklungen der letzten Monate“ meint sie wohl, dass der Anteil der Vegetarier in Deutschland erst langsam auf 30%, dann sprunghaft auf gute 70% angestiegen ist – und der der Veganer auf fast 25%. „Nachfrage bestimmt das Angebot, Liebes“, sagt sie, „habe ich doch schon immer gesagt.“ Dass das nicht ganz richtig ist (dass sie das schon immer gesagt hat), lasse ich mal dahingestellt und sage nichts – vor allem weil sie mir stolz ihren neuen pinken „Vegan“-Button an der Jacke präsentiert.

Nach dem Essen bummeln wir noch ein wenig durch die Stadt. Ich bin immer noch ganz benommen. Endlich ist der Stein ins Rollen gekommen. Endlich. Und er scheint alle mitzunehmen. In den Schaufenstern sehe ich lauter Angebots-Schilder: „SALE! Die letzten Lederschuhe aus unserem Sortiment 50% reduziert!“ „Bei uns ausschließlich Tierversuchs-freie Kosmetik!“ „Warm ohne Wolle!“ „Ganz neu: Alle Modelle von Vegetarian Shoes!“ Meine Freundin zieht mich vom Schaufenster mit der Muso Koroni-Bekleidung weg. „Und hör mal, auch die Regierung hat’s endlich begriffen! Sojamilch und Co. werden jetzt mit dem normalen Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel besteuert, ich glaube 7%, und nicht mehr wie früher mit 19%. Was war das für ein Schwachsinn! Und alle Produkte, die tierische Substanzen enthalten, sind mit einem erhöhten Satz von 25% belegt. Super, was?“

Wir betreten den nächsten Supermark. „Und dieser riesige Fleisch verarbeitende Betrieb bei mir daheim – wie heißt der doch gleich – hat schon angekündigt, sich nach Alternativen umzusehen. Die wollen jetzt eine Kooperation mit Veggie Life eingehen.“ Apropos Veggie Life – das vegetarisch-vegane Kühlregal im Supermarkt hat sich drastisch vergrößert. Die Kühltheke mit Fleisch, Fisch und Käse dagegen muss man suchen. An einem Regal sehe ich ein Schild: „Mayonnaise mit Ei – Restposten – wird aus dem Sortiment genommen“. Das Angebot an Pflanzenmilch übersteigt bei Weitem das an Kuhmilch. Ich habe auf einmal das Bedürfnis einen Luftsprung zu machen und „Hurra!“ zu rufen und mache das dann auch. Dann umarme ich meine Freundin. Sie klopft mir mäßigend auf die Schulter. „Ich freu mich ja auch, Liebes“, sagt sie, „ich freu mich ja auch.“

Neben uns steht ein hübscher junger Mann, der sich gerade eine Reismilch in seinen Einkaufskorb legt. Er hat uns beobachtet und lächelt uns mitwissend und verbrüdert zu. Plötzlich klingelt sein Handy. Er scheint es nicht zu bemerken und lächelt uns immer noch an. Es klingelt. Und klingelt. Irgendwie kommt mir der Ton bekannt vor…

Mein Telefon klingelt. Und klingelt. Ich wache auf. Leider. Ich schlurfe aus dem Schlafzimmer und nehme ab. Meine beste Freundin ist dran. „Kommst du mit zum City-Grill?“ fragt sie.