10 einfache Tipps für mehr Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit. Teil 4: Vollgas Vollkorn – aber richtig!

Im letzten Beitrag haben wir über die  mit optimale Proteinversorgung bei veganer Ernährung gesprochen. Heute widmen wir uns dem Thema „Vollgas Vollkorn – aber richtig!“

Würde man durch eine beliebige Einkaufsstraße gehen und Passanten fragen, ob denn nun der braune Vollkornreis oder der geschälte weiße Reis gesünder wäre, würde wohl kaum jemand auf den letzteren tippen. Doch obwohl wir es besser wissen, greifen wir – aus Bequemlichkeit oder Geschmacksgründen – sehr häufig zu weißem Baguette, Pizza, Pasta, etc. Doch es ist nicht damit getan, einfach alles zu essen, wo „Vollkorn“ drauf steht. Warum ich trotzdem zu einer Ernährung mit dem vollen Korn rate und wie man diese korrekt umsetzt, besprechen wir nachfolgend.

Ich stelle folgende These auf: Wir haben verlernt, unser Essen richtig zuzubereiten. Wir wissen zwar ganz genau, mit welchen Zubereitungsmethoden und Gewürzen wir unglaublich leckere Speisen zubereiten können, wir haben aber vergessen, wie man Lebensmittel wie Getreide und Hülsenfrüchte so zubereitet, dass sie tatsächlich so gesund und wertvoll für uns sind, wie man (zu recht) von Verfechtern der High Carb Ernährung hört. Ich empfehle aus gesundheitlichen, ökologischen und sozialen Beweggründen heraus ebenfalls eine sehr kohlenhydratbetonte Ernährung, die so viel frisches Gemüse und vollwertiges Getreide wie möglich und eine moderate Menge an Hülsenfrüchten enthält. Sollte der ein oder andere schon mal nach dem Verzehr von Hülsenfrüchten Blähungen bekommen haben oder trotz eisen- ,magnesium- und zinkhaltiger Ernährung trotzdem schlechte Blutwerte haben, möge er oder sie den nachfolgenden Artikel bitte mit besonderer Aufmerksamkeit lesen.

Was bedeutet überhaupt „vollwertig“?

Vollwertig bedeutet im Fall von Obst, Gemüse und Getreide grundsätzlich, dass das jeweilige Lebensmittel weitestgehend in seiner Gesamtheit verzehrt wird. Bei Gemüse und Obst heißt das, die (wenn essbare) Schale zu verzehren und das Getreidekorn mitsamt seiner Randschichten (Vollkorn) zu essen, da knapp unter der Schale in vielen Fällen eine hohe Konzentration von Nährstoffen vorherrscht. Die ernährungsphysiologisch wichtigsten Komponenten des Getreides befinden sich in der Kleie und im Keim, welche bei der Verarbeitung zu Weißmehlprodukten Großteils entfernt werden1. Der von mir sehr geschätzte Prof. Dr. Claus Leitzmann hat es auf dem VegMed Kongress in Berlin in 2016 sehr gut auf den Punkt gebracht: „Obst und Gemüse zu schälen ist ein Kunstfehler“.

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Wenn man vermehrt Vollkornprodukte zu sich nimmt, führt man automatisch mehr Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe sowie eine kaum zu überblickende Vielfalt an sekundären Pflanzenstoffen und Antioxidantien zu. Die Summe dieser Bestandteile führt unweigerlich dazu, dass man beim Ersetzen von Weißmehlprodukte durch vollwertige Lebensmittel gesünder wird und sein Risiko an einer Vielzahl an Erkrankungen signifikant senkt.

Die Krankheit des „Westens“

Nein, ich spreche hier nicht vom westlich des Mississippi gelegenen Gebieten des damaligen „Wilden Westes“ in den heutigen Vereinigten Staaten, sondern von den „westlichen“ Industrieländern, deren Ernährungsgewohnheiten nachweislich zu einer enormen Vielzahl von Krankheiten führen2. Dazu gehören ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Krebs3, Diabetes4, metabolisches Syndrom5, Fettleibigkeit6 und damit zu erhöhter Sterblichkeit7 führt.

Der grandiose Dr. Michael Greger hat diesem Thema gleich mehrere seiner großartigen Videos auf www.nutritionfacts.org gewidmet und bringt in seinem Video zum Thema „Is it worth switching from white rice to brown?“ nochmals dutzende weiterer Studien zu diesem Thema hervor. Besonders herausstreichen muss man an dieser Stelle eine Studie in der Versuchspersonen abwechselnd Naturreis und weißen Reis zu essen bekamen und während der Zeit des Konsums an braunem Reis nicht nur ihr Körperfettanteil sank, sondern auch ihr Blutdruck und ihre Entzündungsmarker.8

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Die Kehrseite der Medaille 

Eigentlich könnte dieser Artikel auch an dieser Stelle enden, wo doch die zahlreichen Vorteile von Vollkornprodukten ausgiebig beschrieben wurden. Meistens hören Artikel auch hier auf. Allerdings muss man, um ein komplettes Bild zeichnen zu können noch ein Stück tiefer gehen. Denn nicht umsonst klagen viele Konsumenten nach dem Verzehr von Hülsenfrüchten und Vollkorngetreiden über Völlegefühl, Blähungen und Bauchschmerzen und haben trotz sehr mineralstoffreicher Vollwertkost weniger gute Blutwerte bezogen auf Eisen, Zink, Kalzium, Magnesium, etc.

Ein Mangel an Mineralstoffen trotz vollwertiger Ernährung mag in manchen Fällen ganz einfach an der unzureichenden Menge der verzehrten Lebensmittel liegen. Viele der Personen in meiner Ernährungsberatung essen einfach zu wenig, um mit diesen Lebensmitteln ihren Nährstoffbedarf zu decken. Sollte eine ausreichende Versorgung gesichert sein, ist es Zeit, sich einem der kontroversesten Themen anzunehmen: Den antinutritiven Nährstoffen. Man könnte ganze Bücher zu diesem Thema schreiben. Dies wurde u.a. auch von Dr. Bernhard Watzl und Dr. Claus Leitzmann mit dem Buch „Bioaktive Substanzen in Lebensmitteln“ gemacht. Um es im Rahmen dieses Artikels kurz und knapp auf den Punkt zu bringen: Die große Gruppe der sekundären Pflanzenstoffe wie die Saponine, Protease-Inhibitoren, Phytoöstrogene, Phytinsäuren, etc. haben allesamt negative (antinutritive) Eigenschaften, aber auch zahlreiche Positive. Zu den positiven Eigenschaften gehören deren krebshemmende, antioxidative, entzündungshemmende und cholesterinsenkende Wirkung.9

Wie alles im Leben haben aber auch diese sekundären Pflanzenstoffe auf der anderen Seite negative Wirkungen. Nämlich ihre Eigenschaft, Eisen, Zink und weitere Mineralien zu binden und so die Verstoffwechselung dieser Mineralstoffe im Körper zu unterbinden.9 Das kann theoretisch dazu führen, dass man trotz hoher Eisen- und Zinkaufnahme durch die Nahrung einen Mangel entwickelt.

Rettung in Sicht

Aber auch für dieses Problem gibt es eine Lösung. Diese Lösung ist eigenltich schon hunderte Jahre alt, wir haben es heutzutage nur einfach vergessen: das Einweichen, Keimen und Fermentieren von Lebensmitteln. Jede dieser drei Techniken führt zu einem Rückgang der Phytinsäure um 42-96% und damit zu einer stark verbesserten Absorption der Mineralstoffe.10 Man kennt Fermentationsprozesse zum Beipiel vom Brotbacken, weshalb Sauerteigbrot (welches fermentier ist) dem Hefeteigbroten vorzuziehen ist. Sojabohnen werden daher idealerweise nicht in Form von TVP, Sojamilch oder Tofu, sondern in Form von Tempeh, Sojayoghurt oder fermentiertem Tofu gegessen. Um Reis, Getreide, Nüsse, Samen, etc. optimal zuzubereiten, werden diese mindestens eingeweicht und optimaler Weise angekeimt. Die Dauer unterscheidet sich von Nuss zu Nuss und Getreide zu Getreide. Eine übersichtliche Tabelle hat der gute Ben Greenfield freundlicherweise kostenlos auf seiner Webseite bereitgestellt: www.greenfieldfitnesssystems.com. Wichtig: Das Einweichwasser niemals zur weiteren Zubereitung verwenden sowie das eingeweichte Lebensmittel gut abwaschen. Um das Ergebnis zu optimieren, kann ein Schuss Essig oder Zitronensaft in das Einweichwasser gegeben werden.

Eine zusätzliche Strategie neben dem Mindern der aufnahmebehindernden Phytinsäure ist es, Zutaten hinzuzufügen, welche die Aufnahme erhöhen. Studien zeigen, dass sogenannte „Fructooligosaccharide“ die Aufnahme von Mineralien in Vollkorngetreide verbessern11,12. Diese findet man beispielsweise in Knoblauch, Zwiebeln und Lauch. Im Fall von Eisen gibt es darüber hinaus noch den altbekannten Trick, durch die Zugabe von Vitamin C haltigen Lebensmitteln die Eisenaufnahme zu erhöhen13. Vitamin C haltige Lebensmittel sind Orangen, Zitronen, Paprika, Tomaten, Erdbeeren, Papaya, Grünkohl, Brokkoli und Blumenkohl.

Frischer Wind

Um Blähungen und Verdauungsbeschwerden zu lindern, hilft das zuvor besprochene Einweichen und ausreichende Kochen schon enorm. Zusätzlich kann die Zugabe von blähungsmindernden Kräutern und Gewürzen enorm helfen. Das umfangreiche „Handbook of Herbs and spices“ zählt dazu unter anderem schwarzen Pfeffer, Koriandersamen, Kardamom, Pfefferminze, Zimt, Curryblätter, Safran, Ingwer14, Petersilie15 und Kurkuma16. Es scheint also kein Zufall zu sein, dass Gewürzmischungen für indische Dhals oder asiatische Currys viele dieser Gewürze enthalten, weil deren Küche reich an Hülsenfrüchen und Reis ist.

Indische Gewürze

Dazu mag noch dazu kommen, dass das Verdauungssystem von Personen, die eine extrem ballaststoffarme Kost gegessen haben – wie es der durchschnittliche omnivore Esser tut – eine gewisse Zeit benötigt, um sich an die gesündere und ballaststoffreichere Kost zu gewöhnen. Eine von Beginn an korrekte Zubereitung der Vollwertprodukte durch Einweichen, Keimen, Fermentieren und Würzen erleichtert den Umstieg erheblich und sollte daher niemals vernachlässigt werden. An dieser Stelle noch der wichtige Hinweis: Hülsenfrüchte NIEMALS roh essen. Auch die gekeimten nicht! Niemals! Niemals! Egal was man in manchen Foren liest. Danke!

Und jetzt?

Was bedeutet das jetzt für unsere tägliche Ernährung? Zum Einen auf jeden Fall, dass es keinen Grund (außer Geschmack) für den Verzehr von Weißmehl, geschältem Reis, hellen Backwaren, etc. mehr gibt und du deiner langfristigen Gesundheit einen riesen großen Gefallen tust, auf Vollkornprodukte umzustellen.

Wie wir aber ebenfalls gelesen haben, behindern gewisse Nährstoffe die Aufnahme von Mineralien, weswegen es sinnvoll wäre, Vollkorngetreide, Nüsse, Samen und Hülsenfrüchte einzuweichen, zu keimen, fermentieren und gut zu kochen. Ein anderer Weg wäre es, einfach insgesamt ein wenig mehr zu essen. Damit bekommst du trotz antinutritiver Nährstoffe genügend Mineralien und kannst von den durchaus vorhandenen gesundheitlichen Vorteile dieser sekundären Pflanzenstoffe profitieren. Und das Wichtigste überhaupt: Hab Spaß beim Essen, versuche dein Bestes um gesund zu sein und vermeide so viel Leid wie möglich durch deine tägliche Essensentscheidung. Dafür danke ich dir.

Hilfreiche Quellen:

1. The Nutrition Society

2. Myles Nutrition Journal

3. The American Journal of Clinical Nutrition

4. American Journal of Epidemiology

5. European Journal of Clinical Nutrition

6. American Journal of Clinical Nutrition

7.  JAMA Internal Medicine

8. International Journal of Preventive Medicine

9. Watzl, B., Leitzmann, C. Bioaktive Substanzen in Lebensmitteln.

10.  Journal of Food Chemistry

11. The Journal of Nutritional Biochemistry

12. The International Journal of Applied and Basic Nutritional Science

13. International Journal for Vitamin and Nutrition Research

14. Herbal Medicine: Biomolecular and Clinical Aspects

15. Journal of Traditional Chinese Medicine

16. Herbal Medicine: Biomolecular and Clinical Aspects