Vegan ist bunt. Vegan ist vielfältig. Vegan ist spannend, von A bis Z. Heute geht es weiter mit der Serie „The Vegan ABC“. In Zukunft werdet ihr alle 14 Tage – jeden zweiten Dienstag – über ein Thema aus der veganen Welt lesen, ob über „B-Vitamine“ bei B, „Genuss“ bei G oder „Zukunft“ bei Z. Viel Spaß!

 

Ich hatte eine ziemlich schlimme Nacht. Und Schuld war – eine Mücke. Sie umkreiste mich ein paar Mal surrend, und ein paar Mal wedelte ich mit der Hand ins Dunkle, dorthin, wo ich sie vermutete. Die Wirkung hielt jedes Mal ein paar Sekunden vor, dann war sie wieder da. Zweifelsohne – sie musste ziemlich hungrig sein. Ich aber wusste, dass ich am nächsten Tag um halb sechs aufstehen musste – und die Mücke hielt mich von meiner wohlverdienten Nachtruhe hab. Und schon hatten wir, die Mücke und ich, ihn, unseren Interessenkonflikt – der dadurch nicht eben besser wurde, dass die Mücke mir nicht nur den Schlaf raubte, sondern zur Durchsetzung ihrer Interessen auch noch mein Blut wollte. Und wäre es nur das gewesen, hätte ich es ihr mit Kusshand zur Verfügung gestellt – auf die paar Milliliter hätte ich gut verzichten können. Der Gedanke an tagelang juckende Stiche aber bewog mich und meinen Freund dann doch irgendwann, das Licht anzumachen und auf die Jagd zu gehen.

Wir brauchten eine gefühlte Stunde, akribisches Absuchen der Wände und lautloses Heranpirschen, bis wir sie endlich hatten. Ich war die Verräterin, und zeigte meinem Freund, wo sie saß, und er schlug zu – und traf endlich auch. Ich war mittlerweile richtig schlecht gelaunt aufgrund unserer vielen Fehlversuche, der späten Stunde und meiner Schlaflosigkeit, und fühlte Erleichterung… und auch ein wenig Genugtuung. Wir waren das Opfer, die Mücke der Täter, und wir hatten uns über sie erhoben. Vollkommen zu Recht. Oder?

Ein schlechtes Gewissen

Als das Licht endlich wieder aus war, und ich die verbleibenden fünf Stunden meines Schlafs antreten wollte, fühlte ich mich plötzlich schlecht. War es tatsächlich so einfach? Hatte ich tatsächlich in Notwehr gehandelt? Oder ganz schnöde meine eigenen Interessen über die der Mücke gestellt? Und wenn ich ein schlechtes Gewissen nach dem Klatschen einer Mücke bekam, was dachte dann erst der Besitzer eines Geflügelhofes, wenn er sich ins Bett legte, am Ende eines Tages, an dem wieder Tausenden von Hähnchen maschinell die Kehlen durchtrennt worden waren? Bestand ein Unterschied zwischen uns? Ich entschuldigte mich gedanklich bei der Mücke und beim Universum und konnte endlich schlafen.

Als vegan lebender Mensch gehört das Definieren von Wertvorstellungen und das Bemühen um das Handeln nach diesen Wertvorstellungen zur Tagesordnung. Ich schreibe absichtlich „das Bemühen“, denn schon die letzte Nacht zeigte mir, dass das nicht immer möglich ist. Mein moralischer Anspruch an mich selbst ist, kein Tier zu töten oder töten zu lassen, außer in Notwehr oder Notlage (ohne dies näher definieren zu können). Warum also habe ich bei der Mücke eine Ausnahme gemacht? Weil sie „nur“ ein Insekt ist? Klingt das nicht ganz verdächtigt nach „es sind doch nur Tiere?“, nach der Aussage, die wir an anderen oft so verabscheuen? Eine Mücke, die mich stechen will, hat es schließlich nicht besser verdient. Oder?

Zwiespältigkeit in der Argumentation

Wir bewegen uns oft auf einem schmalen Grad in unserer Argumentation. Natürlich kann ich für mich selbst begründen, dass das Huhn erwiesenermaßen ein Nervensystem hat, Angst, Schmerz, Leid empfinden kann. Bei der Mücke bin ich mir da äußerst unsicher. Trotzdem: Wenn ich in ein paar Dutzend Jahren an der Himmelspforte stehe und der liebe Gott mich fragt: „Also die Mücke damals – warum habt ihr sie getötet? Für dich hätte ein Stich ein paar Tage harmlosen Juckreizes bedeutet, für die Mücke ging es um: ihr Überleben.“ Was sollte ich denn darauf wohl antworten?

Und da der liebe Gott schlau ist, würde er sicher fortfahren: „Und warum bist du immer mit dem Auto zur Arbeit gefahren? OK, mit öffentlichen Verkehrsmitteln hättest du sicher viel länger gebraucht – aber wiegt das schwerer als die Belastung der Umwelt mit Abgasen aus deinem Auspuff? Und diese Kekse da, da war Palmfett drin, davon hast du ziemlich viele gegessen. Und eigentlich hättest du auch kalt duschen können – was du an Energie eingespart hättest!“ Und ich müsste ihm Recht geben. Oder?

Keine Retter der Welt

Vegan sein heißt, ein Herz für Tiere zu haben, sich um die Leiden der Tiere und der Welt, um hungernde Menschen, um die Umwelt Gedanken zu machen. Wir tragen mit unserem Lebensstil sicher dazu bei, dass die Welt langsam, ganz langsam eine bessere wird, gerade, wenn wir versuchen, andere von eben diesem Lebensstil zu überzeugen.

Was wir aber zuhause lassen sollten, ist unser gelegentlicher Absolutheits-Anspruch. Der Veganismus ist kein Heilsbringer, er löst nicht alle Probleme der Welt, die viel zu komplex sind, als dass allein unsere Ernährung sie verändern könnte. Wir wollen es nicht, aber auch wir töten Tiere, unabsichtlich, absichtlich. Wir sollten uns mal wieder öfter unserer eigenen Unzulänglichkeit, unserer Zwiespältigkeit, in der auch wir uns bewegen, bewusst werden. Wir verbessern im Kleinen die Welt, und vielleicht wird daraus irgendwann etwas Großes. Aber wir sind nicht die Retter der Welt. Das sollten wir uns nicht anmaßen. Und auch nicht aufbürden. Oder?